Über den Tod und das Sterben reden wir in unserer atheistisch geprägten Gesellschaft kaum, obgleich selbiger auf den abendlichen Bildschirmen im Wohnzimmer allgegenwärtig ist. Mit dem ersten Atemzug eines jeden Menschen ist klar, es wird auch irgendwann einen letzten geben. Doch diese Tatsache ignorieren viele Menschen gern und schieben dieses unangenehme Thema so lange sie können vor sich her, manchmal bis zu jenem letzten Atemzug oder darüber hinaus.
Die Last rechtzeitig von den Hinterbliebenen nehmen
Die Hinterbliebenen stehen nach dem Ableben eines Menschen vor wichtigen Entscheidungen, die sie in einer oft emotionalen Verfassung und unter einem gewissen Zeitdruck treffen müssen. Es wäre viel leichter für alle, hätte der verschiedene Mensch zu Lebzeiten mit seinen Angehörigen über sein eigenes Ableben gesprochen und seinen Willen bis ins kleinste Detail klar und deutlich bekundet. Ansonsten überträgt der Mensch damit die unangenehmen Gefühle, denen er sich selbst nicht stellen will, auf die Hinterbliebenen, die sich ihnen stellen müssen, ob sie wollen oder nicht.
Es ist daher im Sinne aller Beteiligter, sich frühzeitig mit den Themen Tod, Sterben und Beerdigung auseinanderzusetzen und sich und seine Liebsten bestmöglich darauf vorzubereiten. Es gibt keinen Grund dieses Thema auf ein hohes Alter hinauszuschieben, jeder Tag kann der letzte sein.
Die verstorbene Mutter auf dem Sofa
Nehmen wir an, eine Mutter legte, zwar nach einer längeren Krankheitsgeschichte, jedoch trotzdem für alle unerwartet, ihre grobstoffliche Hülle ab und Ihr Ehemann und ihre beiden erwachsenen Söhne waren bei ihr. In den meisten Fällen würden die Angehörigen entweder sofort zum Hörer greifen und den Notruf anrufen, der sie zu einem Bestattungsinstitut verweisen würde oder sie würden direkt das Bestattungsunternehmen anrufen. Zahlreiche Bestatter würden zeitnah eine Abholung des Leichnam veranlassen, denn natürlich möchte jeder so schnell wie möglich den Auftrag. Mit etwas Glück erreicht man jedoch einen Bestatter, der einen darüber informiert, dass die Hülle des hinübergangenen Menschen noch für ein bis zwei Tage zu Hause verbleiben darf.
Im Falle unseres Beispiels hat sich einer der Söhne bereits im Vorfeld frühzeitig mit den Themen Tod, Sterben und Bestattung beschäftigt und unterrichtete den Bruder und den Vater von dieser Möglichkeit.
Also setzen sich die drei gemeinsam an den Tisch und besprachen, was jedem einzelnen in diesem Moment wichtig war und was wohl der Wunsch der Mutter gewesen wäre. Leider sprach die Mutter nicht über solche Themen, so dass niemand genau wusste, was genau sie sich in diesem Moment gewünscht hätte. Doch die drei Männer lernten einige Züge ihrer Denkweise während ihres sechsjährigen Krebsleidens kennen. Sie lehnte jede schulmedizinische Behandlung ebenso ab, wie synthetische Medikamente oder Chemotherapie.
Alle drei waren sich auf Grund der vielen Gespräche, die die Mutter zumindest über Ihre Eigenbehandlung führte, schnell einig was sie tun und was unterlassen wollten. Sie entschieden sich daher, die Mutter so lange wie möglich bei sich zu behalten, um angemessen Abschied nehmen zu können und auch allen Angehörigen die Möglichkeit zur Abschiednahme zu geben.
Die drei Männer entledigen als erstes die Mutter von ihrer getragenen Kleidung, wuschen sie und kleideten sie mit einem ihrer Lieblingsstücke an. Dann betteten sie ihren Körper im Wohnzimmer auf dem Sofa, damit sie nah bei ihnen ist. Sie räumten die Wohnstube auf, entfernten alle Medikamente und medizinischen Utensilien, schmückten den Raum mit Kerzen und Räucherwerk aus und richteten alles so her, wie sie es gemocht hätte. Außerdem sollte nichts mehr an die Krankheit erinnern, die noch bis vor wenigen Stunden allgegenwärtig war. Anschließend geben sich alle die nötige Zeit um Abschied zu nehmen.
Es war befreiend und lösend für die drei, oft minutenlang nur ihre leblose Hülle zu betrachten und zu schweigen. Manchmal floß dabei eine Träne, manchmal teilten sie ihre schönen Erinnerungen und mussten lachen, ein anderes Mal sprachen sich gegenseitig Kraft zu. Kurz darauf informierten sie die engsten Freunde und Verwandten und gaben ihnen die Möglichkeit, sich selbst bei einem Besuch zu verabschieden. Manche von ihnen nahmen diese Gelegenheit wahr, andere nicht. Doch jeder hatte die Chance das zu tun, was er für das Richtige hielt. So blieb die Hülle der Mutter noch für zwei Nächte bei ihnen.
Diese Zeit war für jeden der Männer wichtig, um die Situation auch wirklich annehmen zu können, denn alles erschien noch so unwirklich, wie in einem Traum. Sie verbrachten gemeinsam oder alleine Zeit mit ihrer Mutter und sprachen all die Dinge aus, die ihnen noch auf dem Herzen lagen und die sie ihr auf ihrem Weg mitgeben wollten.
Für alle war zudem klar, dass das Leben mit dem Tod nicht endet und ein Mensch die erste Zeit nach dem Hinübergehen noch durch seine Sinnesorgane wahrnehmen kann, was in seiner Nähe geschieht. Wie ein Baby mit der Nabelschnur eine Verbindung zur Mutter hat, nachdem es auf die Welt kam, so ist auch die gelöste Seele für einige Zeit noch über eine feinstoffliche Nabelschnur, auch das silberne Band genannt, mit ihrem Körper verbunden und kann dessen Sinneseindrücke wahrnehmen.
Nach der zweiten Nacht ließen die drei die Mutter von einem bekannten Bestatter abholen und begleiteten sie bis vor die Tür der Leichenhalle. Nach weiteren neun Tagen folgte dann der gemeinsame Besuch im Krematorium, bei dem die drei der Einäscherung beiwohnten, um auch diesen Moment als Teil ihrer Abschiednahme bewusst zu nutzen. Die Asche ihrer Mutter ist nun genau an dem Ort, an dem sie es sich wünschte. Zum Glück hat sie in all ihrem Schweigen über den Tod zumindest das zu Lebzeiten deutlich gemacht. –
Diese Geschichte zeigt, wie eine mögliche Abschiednahme auf unkonventionelle Weise geschehen kann. Jeder kann selbst entscheiden, was der richtige Weg ist. Die sofortige Abholung ist nur eine von vielen Möglichkeiten.
Mehr Zeit zum Abschied nehmen hilft der besseren Verarbeitung der Trauer
Laut Aussagen eines Bestatters aus Leipzig, ist es eine Seltenheit, dass Angehöre den zurückgelassenen Leib so lange wie möglich bei sich zu Hause behalten, damit sie und die Angehörigen Abschied nehmen können.
Eine Umfrage in der Facebook-Gruppe »Bestatter unter sich« sollte diese subjektive Aussage auf Ihre Allgemeingültigkeit hin prüfen. Ich stellte folgende Umfrage in die Gruppe ein, in der zu diesem Zeitpunkt über 1900 Bestatter Mitglied waren:
Wie hoch ist der prozentuale Anteil der Hinterbliebenen, die bei einem Todesfall zu Hause den Leichnam so lange wie möglich bei sich behalten, um sich zu verabschieden?
Vorausgesetzt, der Verstorbene ist noch ansehnlich und nicht durch Unfall oder sonstige Einwirkungen entstellt bzw. ein anderer Zustand macht die Aufbewahrung zu Hause unzumutbar.
Das Ergebnis dieser Umfrage, an der Bestatter aus ganz Deutschland teilnahmen, deckt sich mit der Aussage des Leipziger Bestatters. Stand 20. Dezember 2023 nahmen 84 Bestatter an der Umfrage teil. Davon gaben 69% an, dass nur 1% der Hinterbliebenen den Verstorbenen so lange wie möglich zu Hause lassen wollen. Weitere 20% gaben 5% an, was zusammen den Großteil aller Teilnehmer bildet. Vereinzelte Ausnahmen gab es auch, wie an der Grafik 1 erkennbar ist.
Das Ergebnis zeigt, dass durchschnittlich nur rund vier von 100 Hinterbliebenen ihren lieben Menschen so lange wie möglich bei sich zu Hause behalten, die anderen 96 Menschen werden unmittelbar abgeholt.
Bei diesem Ergebnis ist wichtig zu wissen, dass der Leichnam in den meisten Bundesländern sowieso nur maximal 36 Stunden zu Hause bleiben darf, bevor er überführt werden muss. Wir sprechen bei einer Aufbewahrung zu Hause also nicht über eine oder mehrere Wochen, sondern über ein zwei Tage.
Prozentuale Anzahl der Hinterbliebenen, die Verstorbenen so lange wie möglich bei sich behalten
Quelle: Umfrage auf Facebook
Mit der Nachsorge der Verstorbenen wollen die meisten nichts zu tun haben
Eine zweite Frage drängte sich auf, die ich ebenfalls in der gleichen Gruppe unter Bestattern stellte. Sie lautet:
Wie hoch ist der prozentuale Anteil der Hinterbliebenen, die den Verstorbenen direkt nach dem Abscheiden so weit wie möglich selbst versorgen wollen und den Bestatter maximal zur Hilfe hinzuziehen?
(Waschen, Ankleiden, Schminken, Haare Kämmen, in eine angemessene Liege-Position bringen, usw.)Vorausgesetzt, der Verstorbene ist noch ansehnlich und nicht durch Unfall oder sonstige Einwirkungen entstellt bzw. ein anderer Zustand macht diese Tätigkeiten unzumutbar.
Auch hier zeigt das Ergebnis eine ähnliche Bilanz. Insgesamt 90% der Bestatter geben an, dass nur 1% der Hinterbliebenen sich selbst um die Versorgung kümmern wollen, 3% der Bestatter geben einen Wert von 5% an und 5% geben 10% an. Darauf hin folgen vereinzelte Stimmen.
Die Ergebnisse spiegeln unsere Einstellung zum Tod wider
Diese Ergebnisse hinterlassen keinen Eindruck einer fürsorglichen Gesellschaft, die sich um ihre Toten kümmert, dennoch sind die Zahlen nicht verwunderlich. Die Resultate spiegeln die Situation wider, wie der Großteil der Menschen, die im deutschsprachigen Raum leben, bereits zu Lebzeiten mit dem Thema Tod umgehen. So wie viele mit dem Tod nichts zu tun haben wollen und das Thema so weit wie möglich von sich schieben, so schieben sie, sinnbildlich betrachtet, auch die Verstorbenen von sich.
Zudem sind wir eine Auslagerungsgesellschaft (modern Outsourcing-Gesellschaft) geworden und gewohnt, dass andere Menschen uns bestimmte Arbeiten abnehmen. Der Hausmeister kehrt unseren Hausflur, der Bäcker bäckt unser Brot, die Hebamme bringt unser Kind zur Welt, der Bauer erntet unser Essen, der Architekt plant unser Haus, die Pflegerin kümmert sich um unsere Großeltern und so weiter.
Es ist zur Normalität geworden, dass wir die Verantwortung für bestimmte Dinge an fremde Menschen abgeben, vor allem für diejenigen, die uns unangenehm sind oder die wir als niedere Arbeiten betrachten. So ist es nicht verwunderlich, dass wir uns auch davor scheuen, unsere Verstorbenen selbst zu versorgen. Auch dann, wenn dies oft die einzige Möglichkeit ist, ihnen noch die letzte Ehre zu erweisen.
Abschieben oder selbst versorgen ist die große Frage
Vielen Menschen ist wahrscheinlich gar nicht bekannt, dass die Versorgung eines Verstorbenen von den Angehörigen selbst durchgeführt werden kann und dafür kein Bestatter benötigt wird. Diesen braucht man nur für die Überführung des Leichnam bzw. der Asche in die Leichenhalle, zum Friedhof oder zum Krematorium.
Es ist zudem vom Hausarzt oder dem kassenärztlichen Dienst der Tod unmittelbar festzustellen und ein Totenschein auszustellen. Zudem gibt es in jedem Bundesland eine eigene Regel, in welchem Zeitfenster der leblose Körper in eine Leichenhalle überführt werden muss. Die Zeiten variieren je nach Bundesland zwischen 24 und 48 Stunden. Nur Bayern stellt eine Ausnahme da, hier gibt es zur Überführung keine Regelung.
Der Großteil der Tätigkeiten darf also in der Hand der Hinterbliebenen bleiben. Es ist damit die freie Entscheidung jedes Einzelnen, ob er die Hülle des geliebten Menschen selbst mit Bedacht und Hingabe versorgt, oder die Arbeiten durch einen fremden Dienstleister erledigen lässt.
Gründe, die dafür sprechen, die Nachversorgung selbst zu erledigen
Es ist in unserem Kulturkreis nicht üblich, sich zu Lebzeiten Gedanken über den Tod zu machen. Wer nicht gerade beruflich mit dem Thema in Berührung kommt oder jemanden kennt, bei dem das der Fall ist, der weiß oft gar nicht, was rechtlich möglich ist. Wenn dann plötzlich die Situation des Todes in einem Haushalt eintritt, sind viele Menschen emotional überfordert, so dass es ihnen schwer fällt, eine sachlich klare Entscheidung zu treffen. Meistens wird dann sofort zum Hörer gegriffen und der Notdienst oder der nächstgelegene Bestatter angerufen. So kennen es viele aus dem Fernsehen und das ist inzwischen zur größten Bildungseinrichtung geworden. Doch es geht auch anders.
Da Ihnen dieses Wissen nun bekannt ist, sollen gleich die Vorteile erläutert werden, die sich ergeben, wenn die Versorgung selbst übernommen wird.
In der Zeit Zeit, in der sich ein Mensch ausgiebig um die Hülle seines Angehörigen kümmert, erweist er ihm die letzte Ehre und kann sich um einen würdevollen Abschied bemühen. Wenn es das eigene Elternteil ist, dann kann diesem damit die Fürsorge zurückgegeben werden, die ein Kind einst von ihm empfing. Es kann sehr heilsam sein, jede nur erdenkliche Minute zu nutzen, um Lebewohl zu sagen, Unausgesprochenes auszusprechen, die Situation wahrzunehmen, zu beobachten und sich innerlich zu lösen. All das ist nur schwerlich möglich, wenn der Körper schon nach kurzer Zeit abgeholt wird.
Dieser Tod, der doch trotz aller innerlichen Vorbereitungen, immer plötzlich erscheint, ist so unverrückbar und unwiderruflich, dass jeder Mensch erst einmal eine gewisse Zeit benötigt, um die Situation anzunehmen und zu akzeptieren. Lässt man die Hülle eines Menschen sofort abholen, kann dies dazu führen, dass man das Geschehene erst einmal innerlich von sich weist und verdrängt. Doch damit kann es schnell zu einem Trauma werden. Wenn sich die Hinterbliebenen hingegen ausreichend Zeit lassen, um sich auf ihre eigene Art und Weise zu verabschieden, entsteht genügend Raum und Zeit für eine innere Verarbeitung.
Dass viele Menschen mehrere Monate oder gar Jahre benötigen, um ihre Trauer zu überwinden, könnte teilweise daran liegen, das ihnen dieser entscheidende Baustein, der für die seelische Verarbeitung von großer Bedeutung ist, fehlt. Erst wieder zur Beisetzung oder Einäscherung des Körpers steht ein jeder dann noch einmal in der Nähe des Verstorbenen und kann Abschied nehmen. Da der Kontakt zwischendurch jedoch fehlt, kann es so schneller zu emotionalen Ausbrüchen kommen. Denn vieles ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht verarbeitet.
Ein Appell an die Selbstverantwortung eines jeden Menschen
Solange der Verstorbene in einem körperlichen Zustand ist, der die Aufbewahrung zu Hause möglich und zumutbar macht, sollte die Versorgung auf jeden Fall selbst wahrgenommen werden. Es ist absolut natürlich, dass bei diesem Gedanken Ängste, Sorgen und Zweifel aufkommen, eventuell auch ein Gefühl der Überforderung. Doch sich diesen Gefühlen zu stellen und sie zu bewältigen, ist der eigenen Verfassung viel zuträglicher, als man glauben mag. Denn wie oft bereuen wir Menschen, etwas nicht getan zu haben und das bittere Gefühl, dass es irgendwann zu spät war, belastet die Seele. Rechtzeitig die richtige Entscheidung treffen, kann einen jeden vor diesem Gefühl der Reue bewahren.
Ist ein Hinterbliebener alleine mit dem Verstorbenen, dann kann er Verwandte und Freunde um Hilfe fragen. Schon aus physikalischen Gründen ist solch eine Versorgung für einen ungeübten Menschen alleine oft nicht möglich. Ein bis zwei weitere Helfer können daher sehr dienlich sein. Sind diese nicht zur Hand, so kann auch ein Bestatter, Trauerbegleiter oder ein Mitarbeiter eines Palliativdienstes oder Hospizes hinzugezogen werden.
Die letzten Tage mit einem Abgeschiedenen sind ein Geschenk, denn nicht jedem Menschen ist es vergönnt, diese Zeit noch gemeinsam verbringen zu können. Es gibt auch tragische Fälle und Einzelschicksale, in denen es nicht möglich oder unzumutbar ist, den Verstorbenen in Ruhe zu Hause zu verabschieden. Doch es gibt ausreichend Fälle in denen es möglich ist. Es ist eine einzigartige und unvergleichliche Erfahrung, an der jeder Mensch wachsen und reifen kann und die etwas vollkommen natürliches hat.
Jeder entscheidet selbst, ob er diese Möglichkeit nutzt oder sie verstreichen lässt. Die Chance dazu hat jeder Mensch nur einmal, sie kommt nicht wieder.
Als Hörbeitrag auf Youtube